„Das könnte zu einer neuen Wohnungsnot führe“, warnt Hamburgs SPD-Fraktionschef
Wer heute bauen will, muss hohe Standards erfüllen – und diese sollen noch verschärft werden
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Rund ein Drittel der Energie wird in Deutschland für Gebäude verbraucht. Die energetische Gebäudesanierung ist deshalb ein zentraler Baustein der Energiewende. Höhere Standards, weniger Verbrauch, heißt es. Doch darum gibt es Streit.
Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hat vor der von der Bundesregierung geplanten Verschärfung der energetischen Standards beim Bau gewarnt. Würden sie umgesetzt, wäre der Bau bezahlbarer Wohnungen praktisch nicht mehr möglich, sagte er. „So wie die Bundesregierung das jetzt gerade angeht, wird es nicht dazu führen, dass wir in den nächsten fünf Jahren eine Entlastung auf dem deutschen Wohnungsmarkt bekommen. Im Gegenteil: Man sorgt für eine weitere Verschärfung der Lage, die zu einer neuen Wohnungsnot führen könnte.“
Die durch gestörte Lieferketten, aufgrund hoher Nachfrage und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine drastisch gestiegenen Kosten hätten die Situation bei Bau und Sanierung von Gebäuden ohnehin verschärft. „Das hat erst einmal nichts mit Klimaschutz zu tun“, sagte Kienscherf. „Diese ohnehin sehr schwierige Situation wird jetzt noch einmal dadurch verschärft, dass wir einen neuen energetischen Standard schaffen, der auf dem Papier etwas für den Klimaschutz tut, dies in der Praxis aber nicht bewiesen hat.“
Deutliche Worte: Dirk Kienscherf (SPD), Fraktionsvorsitzender der SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft
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Das Problem sei, dass Mindeststandards nicht gefördert würden. Derzeit gelte der KfW 70-Standard. So gebaute Häuser verbrauchen 70 Prozent der Energie eines in der Förderrichtlinie der Kreditanstalt für Wiederaufbau festgelegten Referenzwertes. „Wir bauen in Hamburg nach KfW 55. So gelingt es, dass wir eine höhere Energieeffizienz erreichen, der Bau deshalb mit öffentlichen Mitteln gefördert wird und dadurch bezahlbar bleibt“, sagte Kienscherf.
Nun wolle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aber den 55er-Standard und ab 2025 den 40er-Standard als Mindeststandard festlegen. „Das heißt, das Bundeswirtschaftsministerium will die Anforderungen um zwei Stufen verschärfen, so dass es ab 2025 keinerlei Förderung mehr gibt.“
Zu diesen Konditionen sei ein frei finanzierter Mietwohnungsbau dann aber nur noch für 18 oder 19 Euro netto/kalt zu realisieren. „Nimmt man dann noch die Betriebskosten mit mindestens drei Euro pro Quadratmeter hinzu, sind wir schnell bei 22 Euro pro Quadratmeter. Das hat mit sozialer Wohnungspolitik wenig zu tun. Deshalb unser Appell in Richtung Bundesebene, die beabsichtigte Verschärfung noch einmal zu hinterfragen.“
Auch führten die neuen Standards zu einer anspruchsvollen technischen Gebäudeausstattung, die wiederum auch langfristig teuer sei, da sie nach Ansicht von Experten nach gut 20 Jahren ausgetauscht werden müsse, sagte Kienscherf. „Auch dass der CO2-Abdruck wirklich geringer ist, wird bezweifelt“
Das von der Berliner Ampelkoalition selbst gesteckte Ziel, pro Jahr bundesweit den Bau von 400.000 neuen Wohnungen – davon 100.000 Sozialwohnungen – zu ermöglichen, sei mit den neuen Standards nicht zu schaffen, sagte Kienscherf. Wenn die Bundesregierung dennoch daran festhalte, „dann ist zu hinterfragen, zu welchem Preisniveau der überwiegende Teil dieser Wohnungen erstellt wird und wer sich das dann noch leisten kann“.
Jeder Euro bei Material und Personal müsse so effizient wie möglich eingesetzt werden, um das Beste für den Klimaschutz und das Wohnen zu erreichen. „Deswegen ist es sinnvoll, nicht wenige Wohnungen mit einem hohen Aufwand energetisch zu sanieren, sondern vor allem viele Wohnungen mit einer sehr schlechten Energiebilanz zu verbessern.“ Zudem müsse der Fokus nicht auf einzelnen Gebäuden liegen. Stattdessen müssten – wenn möglich – ganze Quartiere in den Blick genommen werden.
Kienscherf hofft auf Unterstützung aus den SPD-Fraktionen in den anderen Bundesländern und der Bundestagsfraktion. „Wir sind dazu weiter im Dialog und werben für unsere Position.“
Auch beim eigenen grünen Koalitionspartner habe er schon „eine gewisse Offenheit gespürt, über das Thema zu sprechen“, sagte er. Bei Umweltsenator Jens Kerstan „scheint das Problembewusstsein für die Lage am Wohnungsmarkt aktuell noch nicht so stark ausgeprägt, wie es erforderlich wäre“. Der hatte vor Kurzem in einem Zeitungsinterview mangelnde Fortschritte bei der energetischen Gebäudesanierung angeprangert und die rasche Umsetzung der Standards gefordert.
Hamburg dürfte eigenes Ziel verfehlen
Hamburg selbst hat sich in einem Bündnis für das Wohnen mit vielen Beteiligten am Wohnungsbau darauf verständigt, in jedem Jahr 10.000 Baugenehmigungen zu erteilen. Zuletzt war dieses Ziel nur noch sehr knapp erreicht worden. Als Gründe dafür waren die zunehmende Grundstücksknappheit, aber auch die Preissteigerungen allgemein und insbesondere durch die Anhebung der Energiestandards genannt worden.
Habeck trifft sich am Freitag mit Vertretern der norddeutschen Bundesländer, um über die Energieversorgung angesichts drohender Gasknappheit zu sprechen.