Die Kinder waren aus ihrem Bettchen geklettert, und da sie wussten, was sich gehört, machte Peterchen auch eine Verbeugung, Anneliese einen Knicks, und sie stellten sich ebenso vor. Nun aber waren sie schrecklich neugierig, beguckten und befühlten den Sumsemann überall, bewunderten die kleine silberne Geige und wollten alles wissen.
Dem dicken Maikäfer wurde ganz schwindlig von all den Fragen nach der Grille Zirpedirp und nach der toten Frau, die das Huhn gefressen hatte. Plötzlich hatte Peterchen auch entdeckt, dass ihm ein Beinchen fehlte. Der wusste nämlich ganz genau, wie viel Beinchen ein ordentlicher Maikäfer haben muss, und darum fragte er nun.
So war also wirklich der große Augenblick für den Letzten der Sumsemanns gekommen: Zwei gute Kinder fragten ihn nach seinem Beinchen. Viel hundert Jahre hatten seine Ahnen und Vorfahren dies ersehnt und waren totgeschlagen worden.
Und jetzt - jetzt!!
Ihm wurde ganz grün vor den Augen, seine Flügel zitterten vor Aufregung, und beinahe wäre er auf den Rücken gefallen. Aber er beherrschte sich doch, so gut es ging, holte tief Luft, wischte sich mit einem grünen Lindenblättchen (Blatt einer Linde), das er immer als Taschentuch benutzte, den Schweiß von der Stirn, machte eine sehr geheimnisvolle Miene und sagte: »Ja, das ist eine sehr traurige und wunderbare Geschichte !« Nun wollten die Kinder natürlich die Geschichte hören, schlepptendrei Schemelchen herbei, und gleich darauf saßen sie, der Maikäfer in der Mitte, Peterchen links und Anneliese rechts dicht neben ihm. Es war totenstill in der Stube und sehr geheimnisvoll. Der Mond sah groß und gelb durch die Blumen vor dem Fenster, und der Maikäfer erzählte langsam und feierlich mit einem leisen brummenden Stimmchen die Geschichte vom Beinchen, von der Nachtfee und vom Mondmann. Staunend hörten die Kinder zu.
Ja, das war wirklich eine wunderbare und geheimnisvolle Geschichte!
Es war ihnen ganz seltsam zumute, als der Maikäfer nun mit dem Erzählen fertig war und sie mit zwei großen Tränen in seinen runden Glotzäugelchen fragend anguckte. Peterchen war sehr gerührt, und Anneliese wischte sich mit ihrem Hemdzipfelchen sogar die Augen, weil ihr immer die Tränen kamen.
Dann aber fasste sich Peterchen ein Herz und sagte, dass er das Beinchen schon recht gern mit Anneliese vom Mond herunterholen möchte; aber der Mond - das hatte er schon mal gehört vom Vater -, der wäre sehr weit fort, da oben irgendwo ganz hoch in der Luft; und wer nicht fliegen könnte, würde wohl niemals hinaufkommen.
Anneliese wusste zwar noch weniger vom Mond als Peterchen; aber hoch war er sicher, vielleicht noch höher als der Schornstein auf dem Haus, und sie hatte doch ein klein bisschen Angst, dass man kaputtgehen könnte, wenn man da hinaufwollte, ohne richtig fliegen zu können. Sie sah ganz verlegen aus. Der Sumsemann aber wusste: wenn die Kinder nur wollten, so war es schon gut; wenn sie den guten Willen hatten, zu helfen, dann konnte er sie sogar das Fliegen lehren. So stand es nämlich in der Familiengeschichte der Sumsemanns deutlich mit weißer Tinte auf grünen Blättern geschrieben. Er hatte es auswendig gelernt.
Selig umarmte er die beiden Kinder und sagte, dass sie das Fliegen sehr leicht von ihm lernen könnten, wenn sie nur ein bisschen aufpassten, wie er es mache. Na, das war was für Peterchen und Anneliese!
Sie fingen laut an zu lachen und tanzten wie toll in ihren Hemdchen im Zimmer herum. Aber es galt keine Zeit zu verlieren, wenn sie noch nach dem Mond fliegen wollten. Und so setzte der dicke Maikäfer sich in Positur, um den Kindern etwas vorzufliegen.
»Aufgepasst!« sagte er, nahm seine kleine silberne Geige ans Kinn, spielte und sang dazu: »Rechtes Bein - linkes Bein, Rechtes Bein - linkes Bein, Rechtes Bein und linkes Bein, Summ! - dann kommt das Flügelein Summ - Summ - Summ!« Da flog er auch schon im Zimmer herum, und die Kinder klatschten vor Vergnügen laut in die Hände. Jetzt sollten sie es nachmachen. Es war ein feierlicher Augenblick!