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The Linguist. Eine persönliche Anleitung für das Sprachenlernen, 6. EIN SPRACHABENTEUER. Zwei Einzelgruppen in Montreal

Das Leben eines englischsprachigen Montrealers, der in den 1950er Jahren im westlichen Teil der Stadt aufwuchs, unterschied sich nicht wesentlich vom Leben anderer englischsprachiger Nordamerikaner auf dem Kontinent. Um ihre Bindung an unser neues Heimatland zu beweisen beschlossen meine Eltern, dass sie mit meinem Bruder und mir nur Englisch sprechen würden. Ich ging auf eine englische Schule, hatte nur englische Freunde, hörte mir englische Radioprogramme an und sah englische Fernsehsendungen. Das hat dazu geführt, dass ich 1962 als Siebzehnjähriger nur einsprachig war.

Natürlich hatten wir Französisch in der Schule. Ich bekam im Französischunterricht immer gute Noten, konnte die französische Sprache aber in der Praxis nicht anwenden. Die meisten der 1 Million englischsprachigen Montrealer jener Zeit hatten kein Interesse daran, mit ihren 2 Millionen Französisch sprechenden Mitbürgern auf Französisch zu kommunizieren. Englisch war die Handelssprache und die dominierende Sprache auf dem nordamerikanischen Kontinent. Ich stellte keine Ausnahme zu dieser allgemeinen Einstellung dar. Wir nahmen die größere Französisch sprechende Stadt um uns herum kaum wahr. Dies erscheint heutzutage außergewöhnlich, aber damals war es zutreffend, von zwei Einzelgruppen in Montreal zu sprechen.

Ich sollte darauf hinweisen, dass sich die Gegebenheiten in Montreal in den letzten vierzig Jahren geändert haben. Englischsprachige Montrealer gehören nun zu den besten zweisprachigen Personen Kanadas. Französisch wurde aufgrund von politischen Veränderungen in der Provinz Quebec wichtig und bedeutsam für sie. Demzufolge ist Montreal eine pulsierende Stadt mit einer einzigartigen Atmosphäre.

Hier gibt es einen wichtigen Punkt. Offensichtlich ist es ein Vorteil für Sprachschüler, in einer Umgebung zu leben, in der eine zweite Fremdsprache gesprochen wird. Dies gewährleistet jedoch nicht den Spracherwerb. Man muss über eine positive Einstellung hinsichtlich der jeweiligen Sprache und Kultur verfügen. Man kann das Kommunizieren nicht lernen, indem man sich auf Schulkenntnisse stützt, bei denen der Schwerpunkt auf dem Bestehen von Tests liegt. Nur der echte Wunsch, mit einer anderen Kultur zu kommunizieren, kann den Erfolg im Spracherwerb garantieren.

1961 verbrachte ich als Sechzehnjähriger einen Sommer bei meinem Onkel Fritz in Stockholm. Meine Mutter war im Mai jenes Jahres gestorben. Fritz war ihr Bruder und sie waren sich besonders nahe gewesen, obwohl sie weit voneinander entfernt gelebt hatten. Zeit mit ihm zu verbringen, spendete mir Trost beim Umgang mit dem Verlust meiner Mutter. Mein Onkel und seine Frau Lore wuchsen mir sehr ans Herz, fast wie Eltern. Als ich ankam, sprach ich kein Schwedisch, zur großen Enttäuschung meines jungen Cousins Tommy, der zu dieser Zeit sechs Jahre alt war. Im Auto, auf der Rückfahrt vom Flughafen in Stockholm, wo man mich abgeholt hatte, weinte er aus Enttäuschung darüber, nicht mit seinem älteren Cousin aus Kanada sprechen zu können. Eines Tages würde er fließend Englisch beherrschen, und ich würde Schwedisch fließend beherrschen. Aber das kam später.

Fritz besorgte mir einen Job, bei dem ich einen Monat in einem Lagerhaus eines Geschäfts arbeitete. Dort schnappte ich etwas Schwedisch von meinen Kollegen auf. Später arbeitete ich hart daran, meinen schwedischen Wortschatz zu vergrößern, um ihn gesellschaftlich und beruflich nutzen zu können. Aber Schwedisch zu lernen war in diesem Sommer nicht mein Hauptanliegen. Ich unterhielt mich stundenlang mit Fritz auf Englisch, und erfuhr vieles über das Leben in der Kleinstadt Prostiov, in der Tschechoslowakei, wo meine Eltern und Fritz aufgewachsen waren.

Meine Eltern wurden im damaligen Kaiserreich von Österreich-Ungarn geboren und gehörten zu einer jüdischen Gemeinde, die kulturell und sprachlich Deutsch war. Das gesellschaftliche Leben der jüdischen Gemeinde drehte sich um das örtliche Kaffeehaus mit dem Namen „Deutsches Haus“. Als meine Eltern klein waren, waren Goethe, Schiller und Beethoven die kulturellen Götter, und Wien war das Zentrum des Universums. Nach der Gründung eines unabhängigen tschechoslowakischen Staates wurden meine Eltern auf eine tschechoslowakische Schule geschickt, und die Komponisten Dvorak, Smetana, sowie die politischen Führungspersönlichkeiten Benes und Masaryk, gesellten sich in ihr Pantheon. Somit sprachen meine Eltern als Kinder Deutsch und Tschechisch und lernten außerdem Englisch und Französisch. Dies war in ihrer Zeit und an diesem Ort die Regel. Für mich jedoch, der ich eine Generation später in Nordamerika aufwuchs, war es ganz normal, nur Englisch zu sprechen. Das sollte sich ändern. In Schweden verbrachten meine Eltern die ersten zwölf Jahre ihrer Ehe, von 1939 bis 1951, und dort wurden mein Bruder und ich geboren. Mein Vater, ein Chemiker im Bereich Farben, hatte eine Arbeitsstelle als Produktionsleiter in einer Lackfabrik in Lidingo bekommen, einem netten Vorort von Stockholm. Dank Schweden entkamen meine Eltern dem Schicksal, das die jüdische Gemeinde der Tschechoslowakei nach der deutschen Invasion von 1939 erwartete. Mein Onkel Fritz, der den Krieg in der britischen Armee mitmachte, konnte 1946 zu meinen Eltern kommen. Ich habe guten Grund, Schweden eine besondere Zuneigung entgegenzubringen. Es war aber meine später erworbene Fähigkeit, gut Schwedisch zu sprechen, die meine Beziehung zu Schweden und den schwedischen Menschen besonders erfüllend und angenehm machte.

Mein Vater emigrierte aus Schweden nach Kanada, weil er befürchtete, dass die Sowjetunion große Teile Europas übernehmen würde. Wie es oft bei Immigranten der Fall ist, fand er in Kanada keine Arbeit in seinem Beruf. Stattdessen gründete er ein kleines Unternehmen und importierte Kleidung aus Europa. Am Ende meines Sommers in Schweden begleitete ich meinen Vater auf einem Teil seiner Geschäftsreise nach Italien und Frankreich, bevor ich nach Kanada zurückkehrte.

Wir flogen von Stockholm nach Mailand und nahmen dann den Zug und ein kleines Boot, um ein Wochenende in einem schönen kleinen Hotel am Comer See zu verbringen. Dann folgte ich meinem Vater nach Florenz, wo er Lieferanten treffen wollte. Diese geschäftige Renaissance-Stadt, umgeben von Hügeln mit Villen und großen, eleganten Zypressen, kam mir wie eine Szene aus einem Geschichtsbuch vor.

Wir flogen weiter nach Nizza. Dort aß ich mit meinem Vater, am Tag vor der Rückfahrt nach Hause, in einem Restaurant direkt an der Küste der französischen Riviera zu Abend. Soweit das Auge blickte, reihten sich in beide Richtungen Lichter entlang der zerklüfteten Mittelmeerküste. Es schien, als würden die Lichter mich auffordern, noch eine weitere Bucht zu entdecken, noch eine weitere Stadt. Ich kehrte als ein anderer Mensch nach Montreal zurück. Das plötzliche Bewusstsein einer großen, aufregenden Welt, die entdeckt werden wollte, war wie eine Erleuchtung für mich, wie eine Aufklärung.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ (Immanuel Kant, 1783) In jenem Herbst schrieb ich mich im Alter von siebzehn Jahren an der McGill University ein. Einer meiner Kurse behandelte die französische Kultur und wurde von einem sarkastischen aber motivierenden Professor namens Maurice Rabotin gehalten. Er veränderte mein Leben. Plötzlich interessierte ich mich für französische Literatur und französisches Theater. Damit einher ging ein Interesse an französischen Sängern, französischem Essen und der Atmosphäre der französischen Kultur. Auf einmal hatte ich es mit der echten Sprache und den echten Menschen zu tun. Unser Lehrer war wirklich Franzose, keine englischsprachige Person, die Französisch unterrichtet, wie in der Schule. Wir lasen Texte aus echten Büchern, nicht aus französischen Textbüchern, die speziell für Sprachschüler erstellt worden waren.

Vielleicht weil sie neu für mich war, erschien mir die französische Kultur freier und spontaner als die englischsprachige nordamerikanische Kultur, mit der ich aufgewachsen war. Es war eine exotische, neue Welt. Plötzlich wollte ich Französisch lernen. Ich ging ins französische Theater, freundete mich mit französischsprachigen Menschen an und begann, die französischen Zeitungen zu lesen und die französischen Radiosendungen zu hören. Mir wurden Dinge bewusst, die meine Französisch sprechenden Mitbürger betrafen, und durch die Teilnahme an Treffen und Diskussionen verbesserten sich meine Französischkenntnisse automatisch. Außerdem bekam ich ein Verständnis für die Anliegen und Probleme der französischsprachigen Quebecer. Die etwa sechs Millionen Französisch sprechenden Quebecer, Nachfahren von ein paar Tausend französischen Siedlern des 17. Jahrhunderts, haben sich zu einer konservativen und mit sich selbst beschäftigten Gesellschaft entwickelt, um sich vor dem wachsenden Einfluss des englischsprachigen Nordamerika zu schützen. Die französische Sprache und die katholische Religion waren die Grundpfeiler ihrer Identität. Ihre konservative Einstellung zu Ausbildung und moderner Gesellschaft hat sie im Wettbewerb mit englischsprachigen Kanadiern benachteiligt, sogar in ihrer eigenen Provinz Quebec. Natürlich war die englischsprachige Minderheit in Quebec nur zu glücklich, diese Schwäche auszunutzen, um in allen ökonomischen Bereichen zu dominieren. Obwohl sie die Politik steuerten, waren die Französisch Sprechenden in ihrer eigenen Heimat Bürger zweiter Klasse. Einer der wichtigen wunden Punkte war der geringe Status der französischen Sprache. Seit 1960 hat eine wachsende nationalistische Bewegung, auf Grundlage von französischen Sprachrechten und einem konstruktiven Programm zur Säkularisierung, Modernisierung und politischen Aktionismus, erhebliche Veränderungen in der Provinz herbeigeführt. Die meisten dieser Veränderungen waren positiv, obwohl es auch Beispiele für eine übertriebene Verteidigung der französischen Sprache gibt. Die französischsprachige Gesellschaft in Kanada und speziell in Quebec hat ihre eigenen, besonderen Merkmale. Bemühungen, ihre kulturelle Identität zu bewahren, sind gerechtfertigt. Neue Immigranten werden in diese französische Sprachgemeinschaft aufgenommen und bringen frischen Wind, während sich diese Gesellschaft immer weiter entwickelt, ebenso wie Immigranten ins englische Kanada ziehen und es neu definieren. Französisch war die erste Sprache, die ich ernsthaft lernte. Ich war mir nicht sicher, wie fließend ich sie beherrschen würde. Ich kann nicht behaupten, dass ich zuversichtlich war, einmal fast wie ein Muttersprachler sprechen zu können. Diese Zuversicht kam später. Viel später, als ich begann, weitere Sprachen zu lernen, war ich immer zuversichtlich, dass ich die Sprachen so fließend beherrschen könnte, wie ich es wollte. Sobald man eine neue Sprache gemeistert hat, erlangt man die Zuversicht, die zum Meistern weiterer Sprachen nötig ist. Man entwickelt diese Zuversicht beim Lernen. Ich lernte Französisch fließend, weil ich den herkömmlichen Ansatz, die Grammatik perfekt zu beherrschen, aufgegeben hatte. Perfektion war nicht mehr wichtig, nur die Kommunikation war entscheidend. Das Sprachenlernen war mir nicht mehr unangenehm. Ich las, was ich wollte, auch wenn ich nicht alles verstand. Ich sprach mit Menschen, die mich interessierten, versuchte zu verstehen und mich selbst verständlich zu machen. Ich war vor allem daran interessiert, eine Verbindung mit der Kultur herzustellen. Außerdem begann ich, den Klang und die Struktur der neuen Sprache schätzen zu lernen. Wenn man die Einstellung, die Fremdheit einer Sprache abzulehnen, ablegt und zu der Einstellung gelangt, dass man ihre einzigartigen Ausdrucksweisen und Begriffe schätzt, ist man auf dem Weg, sprachbegabt zu werden

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Das Leben eines englischsprachigen Montrealers, der in den 1950er Jahren im westlichen Teil der Stadt aufwuchs, unterschied sich nicht wesentlich vom Leben anderer englischsprachiger Nordamerikaner auf dem Kontinent. Um ihre Bindung an unser neues Heimatland zu beweisen beschlossen meine Eltern, dass sie mit meinem Bruder und mir nur Englisch sprechen würden. Ich ging auf eine englische Schule, hatte nur englische Freunde, hörte mir englische Radioprogramme an und sah englische Fernsehsendungen. Das hat dazu geführt, dass ich 1962 als Siebzehnjähriger nur einsprachig war.

Natürlich hatten wir Französisch in der Schule. Ich bekam im Französischunterricht immer gute Noten, konnte die französische Sprache aber in der Praxis nicht anwenden. Die meisten der 1 Million englischsprachigen Montrealer jener Zeit hatten kein Interesse daran, mit ihren 2 Millionen Französisch sprechenden Mitbürgern auf Französisch zu kommunizieren. Englisch war die Handelssprache und die dominierende Sprache auf dem nordamerikanischen Kontinent. Ich stellte keine Ausnahme zu dieser allgemeinen Einstellung dar. Wir nahmen die größere Französisch sprechende Stadt um uns herum kaum wahr. Dies erscheint heutzutage außergewöhnlich, aber damals war es zutreffend, von zwei Einzelgruppen in Montreal zu sprechen.

Ich sollte darauf hinweisen, dass sich die Gegebenheiten in Montreal in den letzten vierzig Jahren geändert haben. Englischsprachige Montrealer gehören nun zu den besten zweisprachigen Personen Kanadas. Französisch wurde aufgrund von politischen Veränderungen in der Provinz Quebec wichtig und bedeutsam für sie. Demzufolge ist Montreal eine pulsierende Stadt mit einer einzigartigen Atmosphäre.

Hier gibt es einen wichtigen Punkt. Offensichtlich ist es ein Vorteil für Sprachschüler, in einer Umgebung zu leben, in der eine zweite Fremdsprache gesprochen wird. Dies gewährleistet jedoch nicht den Spracherwerb. Man muss über eine positive Einstellung hinsichtlich der jeweiligen Sprache und Kultur verfügen. Man kann das Kommunizieren nicht lernen, indem man sich auf Schulkenntnisse stützt, bei denen der Schwerpunkt auf dem Bestehen von Tests liegt. Nur der echte Wunsch, mit einer anderen Kultur zu kommunizieren, kann den Erfolg im Spracherwerb garantieren.

1961 verbrachte ich als Sechzehnjähriger einen Sommer bei meinem Onkel Fritz in Stockholm. Meine Mutter war im Mai jenes Jahres gestorben. Fritz war ihr Bruder und sie waren sich besonders nahe gewesen, obwohl sie weit voneinander entfernt gelebt hatten. Zeit mit ihm zu verbringen, spendete mir Trost beim Umgang mit dem Verlust meiner Mutter. Mein Onkel und seine Frau Lore wuchsen mir sehr ans Herz, fast wie Eltern. Als ich ankam, sprach ich kein Schwedisch, zur großen Enttäuschung meines jungen Cousins Tommy, der zu dieser Zeit sechs Jahre alt war. Im Auto, auf der Rückfahrt vom Flughafen in Stockholm, wo man mich abgeholt hatte, weinte er aus Enttäuschung darüber, nicht mit seinem älteren Cousin aus Kanada sprechen zu können. Eines Tages würde er fließend Englisch beherrschen, und ich würde Schwedisch fließend beherrschen. Aber das kam später.

Fritz besorgte mir einen Job, bei dem ich einen Monat in einem Lagerhaus eines Geschäfts arbeitete. Dort schnappte ich etwas Schwedisch von meinen Kollegen auf. Später arbeitete ich hart daran, meinen schwedischen Wortschatz zu vergrößern, um ihn gesellschaftlich und beruflich nutzen zu können. Aber Schwedisch zu lernen war in diesem Sommer nicht mein Hauptanliegen. Ich unterhielt mich stundenlang mit Fritz auf Englisch, und erfuhr vieles über das Leben in der Kleinstadt Prostiov, in der Tschechoslowakei, wo meine Eltern und Fritz aufgewachsen waren.

Meine Eltern wurden im damaligen Kaiserreich von Österreich-Ungarn geboren und gehörten zu einer jüdischen Gemeinde, die kulturell und sprachlich Deutsch war. Das gesellschaftliche Leben der jüdischen Gemeinde drehte sich um das örtliche Kaffeehaus mit dem Namen „Deutsches Haus“. Als meine Eltern klein waren, waren Goethe, Schiller und Beethoven die kulturellen Götter, und Wien war das Zentrum des Universums. Nach der Gründung eines unabhängigen tschechoslowakischen Staates wurden meine Eltern auf eine tschechoslowakische Schule geschickt, und die Komponisten Dvorak, Smetana, sowie die politischen Führungspersönlichkeiten Benes und Masaryk, gesellten sich in ihr Pantheon. Somit sprachen meine Eltern als Kinder Deutsch und Tschechisch und lernten außerdem Englisch und Französisch. Dies war in ihrer Zeit und an diesem Ort die Regel. Für mich jedoch, der ich eine Generation später in Nordamerika aufwuchs, war es ganz normal, nur Englisch zu sprechen. Das sollte sich ändern. 
 
In Schweden verbrachten meine Eltern die ersten zwölf Jahre ihrer Ehe, von 1939 bis 1951, und dort wurden mein Bruder und ich geboren. Mein Vater, ein Chemiker im Bereich Farben, hatte eine Arbeitsstelle als Produktionsleiter in einer Lackfabrik in Lidingo bekommen, einem netten Vorort von Stockholm. Dank Schweden entkamen meine Eltern dem Schicksal, das die jüdische Gemeinde der Tschechoslowakei nach der deutschen Invasion von 1939 erwartete. Mein Onkel Fritz, der den Krieg in der britischen Armee mitmachte, konnte 1946 zu meinen Eltern kommen. Ich habe guten Grund, Schweden eine besondere Zuneigung entgegenzubringen. Es war aber meine später erworbene Fähigkeit, gut Schwedisch zu sprechen, die meine Beziehung zu Schweden und den schwedischen Menschen besonders erfüllend und angenehm machte.

Mein Vater emigrierte aus Schweden nach Kanada, weil er befürchtete, dass die Sowjetunion große Teile Europas übernehmen würde. Wie es oft bei Immigranten der Fall ist, fand er in Kanada keine Arbeit in seinem Beruf. Stattdessen gründete er ein kleines Unternehmen und importierte Kleidung aus Europa. Am Ende meines Sommers in Schweden begleitete ich meinen Vater auf einem Teil seiner Geschäftsreise nach Italien und Frankreich, bevor ich nach Kanada zurückkehrte.

Wir flogen von Stockholm nach Mailand und nahmen dann den Zug und ein kleines Boot, um ein Wochenende in einem schönen kleinen Hotel am Comer See zu verbringen. Dann folgte ich meinem Vater nach Florenz, wo er Lieferanten treffen wollte. Diese geschäftige Renaissance-Stadt, umgeben von Hügeln mit Villen und großen, eleganten Zypressen, kam mir wie eine Szene aus einem Geschichtsbuch vor.

Wir flogen weiter nach Nizza. Dort aß ich mit meinem Vater, am Tag vor der Rückfahrt nach Hause, in einem Restaurant direkt an der Küste der französischen Riviera zu Abend. Soweit das Auge blickte, reihten sich in beide Richtungen Lichter entlang der zerklüfteten Mittelmeerküste. Es schien, als würden die Lichter mich auffordern, noch eine weitere Bucht zu entdecken, noch eine weitere Stadt. Ich kehrte als ein anderer Mensch nach Montreal zurück. Das plötzliche Bewusstsein einer großen, aufregenden Welt, die entdeckt werden wollte, war wie eine Erleuchtung für mich, wie eine Aufklärung.

 

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ 
(Immanuel Kant, 1783)

In jenem Herbst schrieb ich mich im Alter von siebzehn Jahren an der McGill University ein. Einer meiner Kurse behandelte die französische Kultur und wurde von einem sarkastischen aber motivierenden Professor namens Maurice Rabotin gehalten. Er veränderte mein Leben. Plötzlich interessierte ich mich für französische Literatur und französisches Theater. Damit einher ging ein Interesse an französischen Sängern, französischem Essen und der Atmosphäre der französischen Kultur. Auf einmal hatte ich es mit der echten Sprache und den echten Menschen zu tun. Unser Lehrer war wirklich Franzose, keine englischsprachige Person, die Französisch unterrichtet, wie in der Schule. Wir lasen Texte aus echten Büchern, nicht aus französischen Textbüchern, die speziell für Sprachschüler erstellt worden waren.

Vielleicht weil sie neu für mich war, erschien mir die französische Kultur freier und spontaner als die englischsprachige nordamerikanische Kultur, mit der ich aufgewachsen war. Es war eine exotische, neue Welt. Plötzlich wollte ich Französisch lernen. Ich ging ins französische Theater, freundete mich mit französischsprachigen Menschen an und begann, die französischen Zeitungen zu lesen und die französischen Radiosendungen zu hören. Mir wurden Dinge bewusst, die meine Französisch sprechenden Mitbürger betrafen, und durch die Teilnahme an Treffen und Diskussionen verbesserten sich meine Französischkenntnisse automatisch. Außerdem bekam ich ein Verständnis für die Anliegen und Probleme der französischsprachigen Quebecer. 
 
Die etwa sechs Millionen Französisch sprechenden Quebecer, Nachfahren von ein paar Tausend französischen Siedlern des 17. Jahrhunderts, haben sich zu einer konservativen und mit sich selbst beschäftigten Gesellschaft entwickelt, um sich vor dem wachsenden Einfluss des englischsprachigen Nordamerika zu schützen. Die französische Sprache und die katholische Religion waren die Grundpfeiler ihrer Identität. 
 
Ihre konservative Einstellung zu Ausbildung und moderner Gesellschaft hat sie im Wettbewerb mit englischsprachigen Kanadiern benachteiligt, sogar in ihrer eigenen Provinz Quebec. Natürlich war die englischsprachige Minderheit in Quebec nur zu glücklich, diese Schwäche auszunutzen, um in allen ökonomischen Bereichen zu dominieren. Obwohl sie die Politik steuerten, waren die Französisch Sprechenden in ihrer eigenen Heimat Bürger zweiter Klasse. Einer der wichtigen wunden Punkte war der geringe Status der französischen Sprache. Seit 1960 hat eine wachsende nationalistische Bewegung, auf Grundlage von französischen Sprachrechten und einem konstruktiven Programm zur Säkularisierung, Modernisierung und politischen Aktionismus, erhebliche Veränderungen in der Provinz herbeigeführt. Die meisten dieser Veränderungen waren positiv, obwohl es auch Beispiele für eine übertriebene Verteidigung der französischen Sprache gibt. Die französischsprachige Gesellschaft in Kanada und speziell in Quebec hat ihre eigenen, besonderen Merkmale. Bemühungen, ihre kulturelle Identität zu bewahren, sind gerechtfertigt. Neue Immigranten werden in diese französische Sprachgemeinschaft aufgenommen und bringen frischen Wind, während sich diese Gesellschaft immer weiter entwickelt, ebenso wie Immigranten ins englische Kanada ziehen und es neu definieren. 
 
Französisch war die erste Sprache, die ich ernsthaft lernte. Ich war mir nicht sicher, wie fließend ich sie beherrschen würde. Ich kann nicht behaupten, dass ich zuversichtlich war, einmal fast wie ein Muttersprachler sprechen zu können. Diese Zuversicht kam später. Viel später, als ich begann, weitere Sprachen zu lernen, war ich immer zuversichtlich, dass ich die Sprachen so fließend beherrschen könnte, wie ich es wollte. Sobald man eine neue Sprache gemeistert hat, erlangt man die Zuversicht, die zum Meistern weiterer Sprachen nötig ist. Man entwickelt diese Zuversicht beim Lernen. 
 
Ich lernte Französisch fließend, weil ich den herkömmlichen Ansatz, die Grammatik perfekt zu beherrschen, aufgegeben hatte. Perfektion war nicht mehr wichtig, nur die Kommunikation war entscheidend. Das Sprachenlernen war mir nicht mehr unangenehm. Ich las, was ich wollte, auch wenn ich nicht alles verstand. Ich sprach mit Menschen, die mich interessierten, versuchte zu verstehen und mich selbst verständlich zu machen. Ich war vor allem daran interessiert, eine Verbindung mit der Kultur herzustellen. Außerdem begann ich, den Klang und die Struktur der neuen Sprache schätzen zu lernen. Wenn man die Einstellung, die Fremdheit einer Sprache abzulehnen, ablegt und zu der Einstellung gelangt, dass man ihre einzigartigen Ausdrucksweisen und Begriffe schätzt, ist man auf dem Weg, sprachbegabt zu werden