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Österreich - dies und das, „Grüß Gott“ und „Guten Tag“

„Grüß Gott“ und „Guten Tag“

Wer nach Österreich reist, wird feststellen, dass die Menschen in verschiedenen Situationen unterschiedliche Grußformen benützen. Das kann etwas verwirrend sein. Deshalb möchte ich meine persönliche Sicht der Dinge schildern.

Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, also nicht auf dem Land, wo es familiärer zugeht. Man sagt Servus, Guten Tag oder Grüß Gott, beziehungsweise Guten Morgen, Guten Abend oder Gute Nacht, je nach der sozialen Stellung des Gegenübers und der Tageszeit.

Als Kind lernte ich das erste Mal, dass man in öffentlichen Situationen, zum Beispiel im Kindergarten und später in der Volksschule „Grüß Gott“ zur Kindergartentante oder zur Lehrerin sagt, und zwar zur Begrüßung und zum Verabschieden. Was hatte ich schon vorher gelernt? Zu Freunden und guten Bekannten, zu Gleichaltrigen und Familienmitgliedern sagt man „Servus“. Zu Fremden und Leuten, die man zwar kennt, die aber nicht zum Freundeskreis der Familie gehören, in kleinen Geschäften und allgemein zu Leuten, die man als zur gleichen gesellschaftlichen Schicht gehörend identifiziert, sagt man Guten Tag. In der Schule, bei Behörden, beim Arzt oder in Geschäften, die ein wenig mehr Ehrfurcht einflößen, sagt man Grüß Gott. Alles sehr kompliziert.

Erst im Laufe der Zeit begriff ich, dass das Grüßen in Österreich dazu dient, den anderen sozial und teilweise auch politisch einzustufen. Man muss die österreichische Geschichte kennen, um das zu verstehen. Konservativere und reichere Leute sagten Grüß Gott, das einfache Volk sagte eben Guten Tag. Diese Zweiteilung gibt es aber schon lange nicht mehr. Sie begann sich schon in meiner Jugend aufzulösen. Oft grüßte ich mit Guten Tag (österreichisch oft nur „Tag“) und mein Gegenüber sagte Grüß Gott und umgekehrt. Manchmal verwenden die Leute auch heute eine Mischung aus beiden Grußformen: Tag, Grüß Gott, worauf man nach Belieben mit Grüß Gott oder Guten Tag antwortet.

Ich erwähne nur ganz kurz einen zusätzlichen Ursprung der Vorliebe der Österreicher für das religiös motiviert erscheinende Grüß Gott. In der Zwischenkriegszeit gab es ein austrofaschistisches Regime, das katholisch geprägt war. Die darauf folgende Machtübernahme durch das deutsche NS-Regime wurde wohl von einigen begrüßt, die ihre Zustimmung mit dem Gruß Heil Hitler ausdrückten. Die Mehrheit der Österreicher empfand den „österreichischen“ Gruß aber als patriotischen Akt, als es Österreich offiziell gar nicht gab.

Heute ist es oft eine Frage des Ortes, ob man die eine oder die andere Formel verwendet. Im Zweifel sagt man meist Grüß Gott, vor allem wenn man irgendwo fremd ist. In Schulen und am Arbeitsplatz beginnt der Tag meist mit einem Guten Morgen. Schüler sagen zum Lehrer, Angestellte zum Vorgesetzten, Grüß Gott, außer man ist sich privat schon näher gekommen. Es bleibt eine größere Distanz bestehen, wenn man förmlich mit Grüß Gott grüßt. Daher wird in Geschäften, Restaurants und anderen öffentlichen Orten meist Grüß Gott gesagt. Man zeigt Respekt vor dem Kunden, dem Gast oder dem Angestellten, der nicht zum Bekanntenkreis gehört. Manchmal machen sich Schüler lustig über diese Formel und sagen zum Lehrer „Tag!“ Diese kleine Frechheit nimmt aber keiner Ernst, im nächsten Moment sind die Rollen und die Machtverteilung wieder klargestellt.

Ja, die Grußformen haben in Österreich auch etwas mit Macht zu tun. Gehe ich zu einem Beamten als Bittsteller, werde ich ihm mit Grüß Gott Respekt zollen. „Wo würden wir denn da hinkommen“, wenn der Bürger dem Beamten einen bloßen Guten Tag wünschte. „Da könnte ja jeder kommen“, womit gleich zwei beliebte österreichische Aussprüche gefallen sind, die die Unbotmäßigen* in die Schranken weisen oder überzogene Forderungen zurückweisen sollen.

Dem Einfluss des deutschen Fernsehens und deutschen Synchronisierungen von Filmen ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, dass heute das Grußwort Hallo schon sehr verbreitet ist. Noch beschränkt es sich auf die Jugendsprache, die Arbeitskollegen und den familiären Bereich; in Österreich konkurriert es da mit Servus und Grüß' dich (eigentlich eine Variante zu Grüß Gott). Aber es ist auf dem Vormarsch. Früher machte man sich manchmal lustig über den, der mit Hallo grüßte. „Der Hallo ist schon gestorben“, war dann die nicht sehr feine Art zu antworten. Mittlerweile sagen selbst die hartnäckigsten Verfechter des Grüß Gott zumindest im vertraulichen Bereich Hallo. Aber die Vielfalt der Schattierungen beim Grüßen lässt eine ständige Abwechslung zu. Die Österreicher lieben es variantenreich, sonst wäre es ja fad. Und klarerweise sieht das jeder ein bisschen anders. Wer mag, kann ja seine eigene Sicht der Dinge darstellen.

*Unbotmäßig: ungehorsam, ungehörig, aufmüpfig – Engl. : insubordinate, cheeky

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„Grüß Gott“ und „Guten Tag“ "Grüß Gott" and "Hello"

Wer nach Österreich reist, wird feststellen, dass die Menschen in verschiedenen Situationen unterschiedliche Grußformen benützen. Das kann etwas verwirrend sein. Deshalb möchte ich meine persönliche Sicht der Dinge schildern.

Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, also nicht auf dem Land, wo es familiärer zugeht. Man sagt Servus, Guten Tag oder Grüß Gott, beziehungsweise Guten Morgen, Guten Abend oder Gute Nacht, je nach der sozialen Stellung des Gegenübers und der Tageszeit.

Als Kind lernte ich das erste Mal, dass man in öffentlichen Situationen, zum Beispiel im Kindergarten und später in der Volksschule „Grüß Gott“ zur Kindergartentante oder zur Lehrerin sagt, und zwar zur Begrüßung und zum Verabschieden. Was hatte ich schon vorher gelernt? Zu Freunden und guten Bekannten, zu Gleichaltrigen und Familienmitgliedern sagt man „Servus“. Zu Fremden und Leuten, die man zwar kennt, die aber nicht zum Freundeskreis der Familie gehören, in kleinen Geschäften und allgemein zu Leuten, die man als zur gleichen gesellschaftlichen Schicht gehörend identifiziert, sagt man Guten Tag. In der Schule, bei Behörden, beim Arzt oder in Geschäften, die ein wenig mehr Ehrfurcht einflößen, sagt man Grüß Gott. Alles sehr kompliziert.

Erst im Laufe der Zeit begriff ich, dass das Grüßen in Österreich dazu dient, den anderen sozial und teilweise auch politisch einzustufen. Man muss die österreichische Geschichte kennen, um das zu verstehen. Konservativere und reichere Leute sagten Grüß Gott, das einfache Volk sagte eben Guten Tag. Diese Zweiteilung gibt es aber schon lange nicht mehr. Sie begann sich schon in meiner Jugend aufzulösen. Oft grüßte ich mit Guten Tag (österreichisch oft nur „Tag“) und mein Gegenüber sagte Grüß Gott und umgekehrt. Manchmal verwenden die Leute auch heute eine Mischung aus beiden Grußformen: Tag, Grüß Gott, worauf man nach Belieben mit Grüß Gott oder Guten Tag antwortet.

Ich erwähne nur ganz kurz einen zusätzlichen Ursprung der Vorliebe der Österreicher für das religiös motiviert erscheinende Grüß Gott. In der Zwischenkriegszeit gab es ein austrofaschistisches Regime, das katholisch geprägt war. Die darauf folgende Machtübernahme durch das deutsche NS-Regime wurde wohl von einigen begrüßt, die ihre Zustimmung mit dem Gruß Heil Hitler ausdrückten. Die Mehrheit der Österreicher empfand den „österreichischen“ Gruß aber als patriotischen Akt, als es Österreich offiziell gar nicht gab.

Heute ist es oft eine Frage des Ortes, ob man die eine oder die andere Formel verwendet. Im Zweifel sagt man meist Grüß Gott, vor allem wenn man irgendwo fremd ist. In Schulen und am Arbeitsplatz beginnt der Tag meist mit einem Guten Morgen. Schüler sagen zum Lehrer, Angestellte zum Vorgesetzten, Grüß Gott, außer man ist sich privat schon näher gekommen. Es bleibt eine größere Distanz bestehen, wenn man förmlich mit Grüß Gott grüßt. Daher wird in Geschäften, Restaurants und anderen öffentlichen Orten meist Grüß Gott gesagt. Man zeigt Respekt vor dem Kunden, dem Gast oder dem Angestellten, der nicht zum Bekanntenkreis gehört. Manchmal machen sich Schüler lustig über diese Formel und sagen zum Lehrer „Tag!“ Diese kleine Frechheit nimmt aber keiner Ernst, im nächsten Moment sind die Rollen und die Machtverteilung wieder klargestellt.

Ja, die Grußformen haben in Österreich auch etwas mit Macht zu tun. Gehe ich zu einem Beamten als Bittsteller, werde ich ihm mit Grüß Gott Respekt zollen. „Wo würden wir denn da hinkommen“, wenn der Bürger dem Beamten einen bloßen Guten Tag wünschte. „Da könnte ja jeder kommen“, womit gleich zwei beliebte österreichische Aussprüche gefallen sind, die die Unbotmäßigen* in die Schranken weisen oder überzogene Forderungen zurückweisen sollen.

Dem Einfluss des deutschen Fernsehens und deutschen Synchronisierungen von Filmen ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, dass heute das Grußwort Hallo schon sehr verbreitet ist. Noch beschränkt es sich auf die Jugendsprache, die Arbeitskollegen und den familiären Bereich; in Österreich konkurriert es da mit Servus und Grüß' dich (eigentlich eine Variante zu Grüß Gott). Aber es ist auf dem Vormarsch. Früher machte man sich manchmal lustig über den, der mit Hallo grüßte. „Der Hallo ist schon gestorben“, war dann die nicht sehr feine Art zu antworten. Mittlerweile sagen selbst die hartnäckigsten Verfechter des Grüß Gott zumindest im vertraulichen Bereich Hallo. Aber die Vielfalt der Schattierungen beim Grüßen lässt eine ständige Abwechslung zu. Die Österreicher lieben es variantenreich, sonst wäre es ja fad. Und klarerweise sieht das jeder ein bisschen anders. Wer mag, kann ja seine eigene Sicht der Dinge darstellen.

*Unbotmäßig: ungehorsam, ungehörig, aufmüpfig – Engl. : insubordinate, cheeky