Ich ließ ihn gewähren, denn ich kannte ihn, zog eine Zigarre hervor und brannte sie an. Dann blieb es wohl eine Viertelstunde lang still zwischen uns. Länger aber konnte er es nicht aushalten; er hielt den Lauf gegen das Licht, sah hindurch und bemerkte dabei:
»Schießen ist nämlich schwerer als nach den Sternen gucken oder alte Ziegelsteine von Nebukadnezar lesen. Verstanden? Habt Ihr denn jemals ein Gewehr in der Hand gehabt?«
»Ich denke.«
»Wann?«
»Schon längst und oft.«
»Auch angelegt und abgedrückt?«
»Ja.«
»Und getroffen?«
»Natürlich!«
Da ließ er den Lauf, den er geprüft hatte, rasch sinken, sah mich wieder an und meinte:
»Ja, getroffen, natürlich, aber was?«
»Das Ziel, ganz selbstverständlich.«
»Was? Wollt Ihr mir das im Ernste aufbinden?«
»Behaupten, aber nicht aufbinden; es ist wahr.«
»Hol Euch der Teufel, Sir! Aus Euch wird man nicht klug. Ich bin überzeugt, dass Ihr an einer Mauer vorbeischießen würdet, und wenn sie zwanzig Ellen hoch und fünfzig Ellen lang wäre, und doch macht Ihr bei Eurer Behauptung ein so ernstes und zuversichtliches Gesicht, dass einem darüber die Galle überlaufen könnte. Ich bin kein Knabe, dem Ihr Stunde gebt, verstanden! So ein Greenhorn und Bücherwurm, wie Ihr seid, will schießen können! Hat sogar in türkischen, arabischen und andern dummen Scharteken herumgestöbert und will dabei Zeit zum Schießen gefunden haben! Nehmt doch einmal das alte Gun* da hinten vom Nagel, und legt es an, als ob Ihr zielen wolltet! Es ist ein Bärentöter, der beste, den ich jemals in den Händen gehabt habe.«
Ich ging hin, langte die Büchse herab und legte sie an.
»Halloo!« rief er aus, indem er aufsprang. »Was ist denn das? Ihr geht ja mit diesem Gun wie mit einem leichten Spazierstocke um, und doch ist es das schwerste Gewehr, welches ich kenne! Besitzt Ihr denn eine solche Körperkraft?«
Anstatt der Antwort nahm ich ihn unten bei der zugeknöpften Jacke und bei dem Hosenbund und hob ihn mit dem rechten Arm empor.
»Thunder-storm!« schrie er auf. »Lasst mich los! Ihr seid ja noch weit kräftiger als mein Bill.«
»Euer Bill? Wer ist das?«
»Er war mein Sohn, der lassen wir das! Er ist tot, wie die Andern auch. Er versprach, ein tüchtiger Kerl zu werden, wurde aber während meiner Abwesenheit mit ihnen ausgelöscht. Ihr seid ihm ähnlich von Gestalt, habt beinahe dieselben Augen und auch denselben Zug um den Mund; darum bin ich Euch na, das geht Euch ja doch nichts an!«
Der Ausdruck tiefer Trauer hatte sich über sein Gesicht gebreitet; er fuhr mit der Hand über dasselbe und fuhr dann in munterem Tone fort: »Aber, Sir, bei Eurer Muskelkraft ist es wirklich jammerschade, dass Ihr Euch so auf die Bücher geworfen habt. Hättet Euch körperlich üben sollen!«
»Habe ich auch.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Boxen?«
»Wird drüben bei uns nicht getrieben. Aber im Turnen und Ringen mache ich mit.«
»Reiten?«
»Ja.«
»Fechten?«
»Habe ich Unterricht erteilt.«
»Mann, schneidet nicht auf!«
»Wollt Ihr es versuchen?«
»Danke; habe genug von vorhin! Muss überhaupt arbeiten. Setzt Euch wieder nieder!«
Er kehrte zu seiner Schraubenbank zurück, und ich tat dasselbe. Die nun folgende Unterhaltung war eine höchst einsilbige; Henry schien sich in Gedanken mit irgendetwas Wichtigem zu beschäftigen. Plötzlich sah er von der Arbeit auf und fragte:
»Habt Ihr Mathematik getrieben?«
»War eine meiner Lieblingswissenschaften.«
»Arithmetik, Geometrie?«
»Natürlich.«
»Feldmesserei?«
»Sogar außerordentlich gern. Bin sehr oft, ohne dass ich es notwendig hatte, mit dem Theodolit draußen herumgelaufen.«
»Und könnt messen, wirklich messen?«
»Ja. Ich habe mich sowohl an Horizontal-, als auch an Höhenmessungen oft beteiligt, obgleich ich nicht behaupten will, dass ich mich als ausgelernten Geodäten betrachte.«
»Well sehr gut, sehr gut!«
»Warum fragt Ihr danach, Mr. Henry?«
»Weil ich eine Ursache dazu habe. Verstanden! Braucht es jetzt nicht zu wissen; werdet es schon noch erfahren. Muss vorher wissen hm, ja, muss vorher wissen, ob Ihr schießen könnt.«
»So stellt mich auf die Probe!«
»Werde es auch tun; ja, werde es tun; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Wann beginnt Ihr morgen früh den Unterricht?«
»Um acht Uhr.«
»So kommt um sechs zu mir. Wollen hinauf auf den Schießstand gehen, wo ich meine Gewehre einschieße.«
»Warum so früh?«
»Weil ich nicht länger warten will. Bin ganz begierig darauf, Euch zu zeigen, dass Ihr ein Greenhorn seid. Jetzt genug davon, habe Anderes zu tun, was weit, weit wichtiger ist.« Er schien mit dem Gewehrlaufe fertig zu sein und nahm aus einem Kasten ein polygones Eisenstück, dessen Ecken er abzufeilen begann. Ich sah, dass jede Fläche desselben ein Loch hatte.
Er war mit solcher Aufmerksamkeit bei dieser Arbeit, dass er meine Gegenwart ganz vergessen zu haben schien. Seine Augen funkelten, und wenn er sein Werk von Zeit zu Zeit betrachtete, so sah ich, dass es, ich möchte beinahe sagen, mit einem Ausdrucke von Liebe geschah. Dieses Eisenstück musste einen großen Wert für ihn haben. Ich war neugierig, zu erfahren, warum; darum fragte ich ihn:
»Soll das auch ein Gewehrteil werden, Mr. Henry?«
»Ja,« antwortete er, als ob er sich besinne, dass ich noch da sei.
»Aber ich kenne kein Gewehrsystem, das ein derartiges Teil besitzt.«
»Glaube es. Soll erst noch werden. Wird wohl System Henry werden.«
»Ah, eine neue Erfindung?«
»Yes.«
»Dann bitte ich um Entschuldigung, dass ich gefragt habe! Es ist natürlich Geheimnis.«
Er guckte eine längere Zeit in alle die Löcher hinein, drehte das Eisen nach verschiedenen Richtungen, hielt es einige Male an das hintere Ende des Laufes, den er vorhin fortgelegt hatte, und sagte endlich: »Ja, es ist ein Geheimnis; aber ich traue Euch, denn ich weiß, dass Ihr Verschwiegenheit besitzt, obgleich Ihr ein ausgemachtes, richtiges Greenhorn seid; darum will ich Euch sagen, was es werden soll. Es wird ein Stutzen, ein Repetierstutzen mit fünfundzwanzig Schüssen.«
»Unmöglich!«
»Haltet Euren Schnabel! Ich bin nicht so dumm, mir etwas Unmögliches vorzunehmen.«
»Aber da müsstet Ihr doch Kammern zur Aufnahme der Munition für fünfundzwanzig Schüsse haben!«
»Habe ich auch!«
»Die würden aber so groß und unhandlich sein, dass sie genierten.«
»Nur eine Kammer; ist ganz handlich und geniert gar nicht. Dieses Eisen ist die Kammer.«
»Hm! Ich verstehe mich ja auf Euer Fach gar nicht; aber wie steht es mit der Hitze? Wird der Lauf zu heiß?«
»Fällt ihm nicht ein. Material und Behandlung des Laufes sind mein Geheimnis. Übrigens, ist es denn immer nötig, die fünfundzwanzig Schüsse alle gleich hintereinander abzugeben?«
»Schwerlich.«
»Also! Dieses Eisen wird eine Kugel, welche sich exzentrisch bewegt; fünfundzwanzig Löcher darin enthalten ebenso viele Patronen. Bei jedem Schusse rückt die Kugel weiter, die nächste Patrone an den Lauf. Habe mich lange Jahre mit dieser Idee getragen; wollte nicht gelingen; jetzt aber scheint es zu klappen. Habe schon jetzt als Gunsmith einen guten Namen, werde dann aber berühmt, sehr berühmt werden und viel, sehr viel Geld verdienen.«
»Und ein böses Gewissen dazu!«
Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht und fragte dann:
»Ein böses Gewissen? Wie so?«
»Meint Ihr, dass ein Mörder kein böses Gewissen zu haben braucht?«
»Zounds! Wollt Ihr etwa sagen, dass ich ein Mörder bin?«
»Jetzt noch nicht.«
»Oder ein Mörder werde?«
»Ja, denn die Beihilfe zum Morde ist grad so schlimm wie der Mord selbst.«
»Hole Euch der Teufel! Ich werde mich hüten, Beihilfe zu einem Morde zu leisten.«
»Zu einem einzelnen freilich nicht, aber sogar zum Massenmorde.«
»Wie so? Ich verstehe Euch nicht.«
»Wenn Ihr ein Gewehr fertigt, welches fünfundzwanzigmal schießt, und es in die Hände jedes beliebigen Strolches gebt, so wird drüben auf den Prairien, in den Urwäldern und den Schluchten des Gebirges sich bald ein grausiges Morden erheben; man wird die armen Indianer niederschießen wie Coyoten, und in einigen Jahren wird es keinen Indsman mehr geben. Wollt Ihr das auf Euer Gewissen laden?«
Er starrte mich an und antwortete nicht.
»Und,« fuhr ich fort, »wenn jedermann dieses gefährliche Gewehr für Geld bekommen kann, so werdet Ihr allerdings in kurzer Zeit tausende absetzen, aber die Mustangs und die Büffel werden ausgerottet werden und mit ihnen jede Art von Wild, dessen Fleisch die Roten zum Leben brauchen. Es werden hundert und tausend Aasjäger sich mit Eurem Stutzen bewaffnen und nach dem Westen gehen. Das Blut von Menschen und Tieren wird in Strömen fließen, und sehr bald werden die Gegenden diesseits und jenseits der Felsenberge von jedem lebenden Wesen entvölkert sein.«
»'sdeath!« rief er jetzt aus. »Seid Ihr wirklich erst vor kurzem aus Germany herübergekommen?«
»Ja.«
»Und vorher noch nie hier gewesen?«
»Nein.«
»Und im wilden Westen erst recht noch nicht?«
»Nein.«
»Also ein vollständiges Greenhorn. Und doch nimmt dieses Greenhorn den Mund so voll, als ob es der Urgroßvater aller Indianer wäre und schon seit tausend Jahren hier gelebt hätte und heute noch lebte! Männchen, bildet Euch ja nicht ein, mir warm zu machen! Und selbst wenn alles so wäre, wie Ihr sagt, so wird es mir niemals in den Sinn kommen, eine Gewehrfabrik anzulegen. Ich bin ein einsamer Mann und will einsam bleiben; ich habe keine Lust, mich mit hundert oder gar noch mehr Arbeitern herumzuärgern.«
»Aber Ihr könntet doch, um Geld zu verdienen, Patent auf Eure Erfindung nehmen und dies verkaufen?«